Folge 27: Dialektik der Freizeit
Über Langeweile, Hobby-Ideologie und Pseudo-Aktivität
Kurz vor Frühlingsbeginn und dem allgemeinen Sprießen und Erblühen auch freizeitlicher Aktivitäten streuen Bruno und Jakob Pfeffer in die Suppe, bzw. Sand ins Getriebe all jener, die Freizeit für eine gute Sache halten. Der Protestler vom Dienst und Vorstand a. D. der bundesrepublikanischen Vereinigung der Spaßbremsen (“Fun ist ein Stahlbad”), Theodor W. Adorno, reicht uns Pfeffer bzw. Sand und weist uns in Richtung des Getriebes der Kulturindustrie, welches selbst dem unkritischsten Esser die Freizeit-Suppe versalzt, in aller Regel ohne dass er es bemerkt. Freizeit ist nämlich ohne Arbeitszeit nicht zu denken, und grundsätzlich verschieden vom eigentlich erst qualitativ bestimmbaren Begriff der Freiheit. Weiterhin sind zu scheiden Muße und Langeweile, wobei letztere die Verzweiflung markiert, zu ersterer nicht mehr die nötige Ernsthaftigkeit aufbringen zu können. Sinnstiftend sind weder Hobbies (wer sich ernst nimmt, erschrickt bereits ob der Frage nach ihnen) noch blinde Aktivität - beide füllen jedoch zu große Quanten unserer Freizeit. Dabei sollten wir keine Angst haben, vor Papa Adornos Augen nur als kulturkonservative Ernsthaftigkeitsfanatiker Gnade zu finden; im Gegenteil lässt sich auch ernste Blödelei betreiben, solange sie von freier Expression lebt und durch eigene Phantasie produziert wird. Was uns an Freizeitangeboten vorgesetzt wird, sollten wir jedoch in den allermeisten Fällen als Organisation unserer Freiheit ablehnen, was wie immer leichter gesagt als getan ist. Doch es lohnt sich: Wir können die Chance wahren auf echten Genuss und wirkliche Erlebnisse abseits der Eventkultur.
Folge XVI: Fortschritt
Lineare Geschichtsphilosophie und Wachstumsideologie
Einen Fuß vor den anderen setzen, lineares Schreiten in eine Richtung - das ist selten messbar und keineswegs alternativlos. Vielmehr ist es (gemeint ist: der Fortschritt) ein neuzeitliches Phänomen und zudem eines der europäisch-westlichen Kulturen. Ob als Geschichtsphilosophie, politischer “Progressivismus”, Wissenschaftsparadgima oder Wirtschaftsaxiom (Wachstum) - der Fortschritt ist kein neutraler Begriff, stets ethisch aufgeladen und das meist zu unrecht positiv. Er befördert einen fragmentarischen Blick auf die Welt und plädiert für das Waltenlassen der Eigenlogik bestimmter gesellschaftlicher Sphären, egal wie viele Probleme sie an anderer Stelle hervorrufen. Wir erläutern außerdem Alternativen zum Fortschrittsparadigma; denn gerade mit Blick auf den Menschen selbst lässt sich eine radikale Fortschrittslosigkeit beobachten. Das Gleichbleiben nicht als Abwesenheit von Veränderung oder Entwicklung, aber als Absage an eine auf alles oktroyierte Fortschrittsfähigkeit sollte uns zu denken geben. Mit weniger Fortschritten hätten wir weniger Probleme produziert. Diese Spirale zu durchbrechen erfordert kulturellen Wandel.
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Folge 26: Mensch und Erde
Ökophilosophie mit Lachen und Schmelzen
Wir kommen aus der Winterpause und machen erstmal unseren Neuigkeiten Luft. Bruno will Luftverkäufer werden. Jakob begräbt seine passivistischen Ambitionen. Nebenbei erfinden wir den AirPod und die Kaufhäuser ganz neu. Im Podcast vollziehen wir endlich die ökologische Wende und sprechen die erste Folge “Lachen & Schmelzen” ein. Das Element des Kapitalisten ist das Feuer. Betrachten wir den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt, dann entfaltet sich schnell ein Bild der Zerstörung. Ludwig Klages, umstrittener Lebensphilosoph und Neoromantiker - wenigstens in Sachen Ökologie - inspiriert uns zum Auftakt mit seinem Gründungstext der deutschen Ökologiebewegung “Mensch und Erde” von 1913, und wir lassen uns von seinem Pathos tragen. Ist es der Mensch, der die Natur unter der christlichen und aufklärerischen Maxime der Naturbeherrschung und Nutzbarmachung vernichtet? Nein! Es ist spezifischer der westliche “Kulturmensch”, der nicht bloß Flora, sondern auch Fauna bevorzugt verbrennt, ausrottet, häutet und sich dann als Schal umlegt. Fortschrittlichste Kulturen, die in aller Regel kein Interesse daran hatten, die Natur zu zerstören, sondern mit und in ihr lebten, wertet der westliche Mensch im Geiste des Christentums als zurückgeblieben ab, wodurch er sich selbst das Recht verleiht, auch jene Völker anderer Kulturen auszurotten wie die Tiere. Er wähnt sich als Gewinner, schadet dabei jedoch nur sich selbst; seine Ethik wird eine reine Nutzenethik, er hält ein falsches Menschenbild aufrecht (denn auch er steht in seiner Umwelt und ist auf sie stetig bezogen und angewiesen), wird stumpf und verliert sein ästhetisches Empfinden und Spüren. Dieser Mensch hat sich seine Weltoffenheit verspielt. Und heute muss er sich fragen, ob die Welt selbst noch offen genug ist, nämlich empfänglich wäre für die Veränderung, die der Mensch bräuchte, um nicht endgültig Opfer seiner katastrophal fehlgeleiteten Mentalität zu werden. Herzlich willkommen im Jahre 2023 mit Lachen & Schmelzen!
Folge XV: Nicht nur zur Weihnachtszeit
… oder die deutsche Weihnachtsneurose
Wenn es weihnachtet, kommt in guter deutscher Tradition auch ein Zwang nach dem anderen um die Ecke. Obsessives Verspeisen der immer gleichen Speisen, ritualisierte Abläufe, die dennoch jedes Jahr dieselbe Gefahr laufen, zu misslingen und IST DER BAUM AUSREICHEND GESCHMÜCKT?! 1952 verpackte Heinrich Böll mit psychologischem Scharfsinn und loriotscher Beobachtungsgabe alles, was zu Weihnachten in Nachkriegsdeutschland zu sagen ist mit seiner Geschichte Nicht nur zur Weihnachtszeit in ein großes kleines literarisches Geschenk, welches wir nun auspacken. Dabei wird so allerhand deutlich, nämlich dass wir womöglich immer noch in Nachkriegsdeutschland leben. Traumata und Neurosen werden nicht nur in Individuen, sondern in Familiensystemen und ganzen Kulturgemeinschaften gespeichert und weitergegeben. Das erklärt, wieso viele von uns sich neben dem Weihnachtsbaum der Großmutter als Kinder noch gefühlt haben könnten, wie Wachsfiguren. Dass es bei den Themen Krieg, Verdrängung, traumatischer Neurose oder gar Psychose nichts zu lachen gibt, ist eigentlich klar, wird aber in Bölls Satire widerlegt. Etwas anderes können wir euch zum alljährlichen WICHTIGSTEN FEST auch nicht raten: Trotzdem lachen. (Und weinen.)
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Anleitung zum rechten Gebrauch der Ironie
Unsere postmoderne, achselzuckende Relations- und Referenzkultur kommt aus den ironischen Inszenierungen, in die sie sich verwickelt hat, nicht heraus; wo aber praktiziert wird, stellt sich die Frage nach dem richtigen Handeln, nach einem Sollen.
Ironeia, welche der hemdsärmelige Spitzbub Friedrich Schlegel erstmals als Muse der Urbanität gekürt hat, ist heute eine selbstverständliche Gepflogenheit in der Alltagskommunikation der Großstädter. Ironie ist ein Zivilisationsgut, ein spätes Reflexivwerden - kein Jäger und Sammler war ironisch. Die bittersüße Frucht der Ironie reift zu später Stunde am Baum der Erkenntnis, welcher längst in den Central Park moderner Massenkommunikation umgepflanzt wurde.
Ironie vertreibt und lockert das kritische Bewusstsein von den Sachen, die in ihm so wissenschaftlich-streng geschieden sind. Solange sie nicht zu Sarkasmus und Zynismus wird, macht sie das Gespräch geschmeidig, indem sie Konfrontation abschwächt, Konfliktpotenzial dämpft, die Bedeutungen und Verständnisebenen vervielfältigt, ernsthafte Auseinandersetzung hingegen vermeidet. Sie moderiert jeden Radikalismus und kann daher als eine Tugend des Liberalismus und Pluralismus genommen werden und liefert die Maske für das Theater der Straße.
Die eigene Existenz und die der Anderen in Anführungszeichen zu setzen, das Alltagsgeschehen als Theater, die Welt als Bühne aufzufassen, was S. Sontag als “Camp” kultivierte, ist das federleichte Ethos der Ironie. Das Verschweben der Person darf aber nicht zur Entweltlichung führen, die ironische Demontage des Subjekts kann sich in eine monologischen Endstation verwandeln.
Das durchironisierte Subjekt der Kunstwelt hat sich an der süßen Nachspeise der Ironie überfressen und kann einen ironischen von einem ernsten Satz kaum noch unterscheiden und einen ernsthaften Satz in seiner Normalität überhaupt nicht mehr ertragen.
Die Ironie ist eine Intelligenz, die einen verführerischen Schein ausstrahlt. Denn sie lädt dazu ein, den bornierten Alltagsverstand für eine höhere, distinguierte, ja elitäre Sprechform auszutauschen. Weil sie aber den Menschenverstand und die Klugheit ausspielen will, ist sie dem Narrentum weitaus verwandter und kann stets dialektisch umschlagen in Nonsens, der weit unter dem gemeinen Menschenverstand anzusiedeln ist.
Ironie ist gleichermaßen Ausdruck von Mangel und Fülle: Als kommunikative Offerte bewältigt sie permanente Überforderung und allgemeine Unübersichtlichkeit der Situation, indem sie aus dem Mangel an Wissen und Kompetenz ein gewusstes Nicht-Wissen formt. Sie hat kein Wissen von etwas, sondern ein Wissen von der Hinlänglichkeit aller Formen des Sprechens, Wissens und Denkens.
In der ironischen Mitteilungsform kann Faulheit und Defätismus liegen: Weil man im Moment mehr sagen will, als man kann oder von einer Sache, die man nicht recht verstanden, souverän sprechen will, beflügelt man seine Botschaften, sodass sie über das Gesagte hinausschießen in die exotischen Landstriche des Unaussprechlichen und den begrenzten Sinn eines Satzes entgrenzen. Wenn man qua Ironie mehr sagen will, als man zu sagen hat, handelt es sich um rhetorisches Blendwerk, kommunikatives Doping, wenn man hingegen erkannt hat, wo Ironie ihr Vetorecht in den Situationen des menschlichen Lebens hat, dann lässt sich mit ihr ein Quantum Unaussprechlichkeit ansprechen.
Ironie ist nicht das Mittel, wie es die Humanisten gern sehen würden, um die abstrakte Kunst mit dem Leben zu versöhnen. Die bleibt abstrakt und nicht auf Versöhnung oder Verständnis angelegt, auch wenn man eine sinnlich gewordene Abstraktheit wie die Ironie für und gegen sie bemüht.
Mit der Ironie ist nicht fertig zu werden, umgekehrt macht sie einen fertig. Wer ironisiert und sich dabei überlegen glaubt, verkennt, dass er die Ambivalenz und Irritation nicht nur für die Anderen herstellt, sondern genauso für sich selbst. Der doppelte Grund, den die Ironie ausrollt, ist ein Ungrund, der Sprecher wie Gesprochenes verschluckt; darin liegen Rausch und Verführungskraft der Ironeia.
Weltironie liegt im Lächeln der Mona Lisa. Man soll nicht von oben ironisieren, die Ironie hier und da ins Spiel bringen, sondern seine Blicke schärfen für das Spiel, das gespielt wird. Die Ironie hat zwei Abstraktionsrichtungen: sie kann aus den Lebenssituationen heraustreten, sie kann umgekehrt in sie eintreten lassen.
Wenn es ein intellektuelles Sinnesorgan für die Ironie gibt, aus dem sie sich entwickeln konnte, dann ist es erkrankt. Das Totalisieren der Ironie führt in postironische Gleichgültigkeit gegenüber jeder Bedeutung und dem Sinn überhaupt. Sie nimmt lebensfeindlichen Charakter an, entwertet alle Mitteilungen und lässt ihre Apologeten im Nirwana der Indifferenz versinken. Entweder man schärft seine intellektuellen Wahrnehmungssinne für die vielfältigen Formen der Ironie - es gibt so viele Ironien wie Parfümsorten - und lernt sie zu dosieren oder eine Entzugskur der Ernsthaftigkeit tut not.
von BWG
Folge XIV: Kitsch
Phänomenologie des Kitsches vs. Camp
Wir beschäftigen uns mit Grundfragen der Ästhetik anhand des notorisch gering geschätzten Kitsches. Was ist guter Geschmack, was ist schlechter Geschmack? Wir klären diese jahrtausendealte Streitfrage ein für alle mal. Der Kitsch jedenfalls wird vom Heidelberger Philosophen Ludwig Giesz zwar auch als kulturelles Phänomen aufgefasst, vor allem aber als Phänomen im Sinne der Phänomenologie! Die ästhetischen Zustände, die er am Subjekt analysiert, stellen sich den ästhetischen Gegenständen der Vertreter einer jeden objektiven Ästhetik (z.B. Adorno) entgegen. Ein eher konservativer Einschlag lässt Giesz abseits der Methodik dennoch kitschige Kulturerzeugnisse in scharfen Gegensatz zur (wahren) Kunst setzen. Dagegen geht Susan Sontag zur beinahe gleichen Zeit auf der anderen Seite des Atlantik vor. Ihr Camp ist moralfrei und meint Kitsch, der als lebendiges, antielitäres Kulturprodukt Läuterung erfahren kann. Alles kann Kitsch sein, alles Camp - sodass wir uns am Ende vor allem fragen, was die ganze Aufregung eigentlich soll und ob wir nicht deutschen Bierernst gegen Heiterkeit eintauschen sollten, auch in Fragen der Ästhetik. Einen wahren Gegner bedeutungsvoller ästhetischer Lebensgestaltung und -erschließung gibt es dabei womöglich doch. Es ist der Lifestyle, der bloß noch ästhetische Erzeugnisse sich wünscht, die er sich leisten kann, ohne zur Frage herausgefordert zu werden: “Muss ich mein Leben ändern?” Die Ästhetisierung der Lebenswelt droht dann, Deko zu werden und damit der Kunst die Bedingung ihrer Möglichkeit zu entziehen. Überdies werden meist Leben dekoriert, deren latenter Sinnmangel sinnlich kompensiert werden soll.