Folge 26: Mensch und Erde

Eine der ersten Photographien des Planeten Erde.Eine der ersten Photographien des Planeten Erde.

Ökophilosophie mit Lachen und Schmelzen

Wir kommen aus der Winterpause und machen erstmal unseren Neuigkeiten Luft. Bruno will Luftverkäufer werden. Jakob begräbt seine passivistischen Ambitionen. Nebenbei erfinden wir den AirPod und die Kaufhäuser ganz neu. Im Podcast vollziehen wir endlich die ökologische Wende und sprechen die erste Folge Lachen & Schmelzen” ein. Das Element des Kapitalisten ist das Feuer. Betrachten wir den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt, dann entfaltet sich schnell ein Bild der Zerstörung. Ludwig Klages, umstrittener Lebensphilosoph und Neoromantiker - wenigstens in Sachen Ökologie - inspiriert uns zum Auftakt mit seinem Gründungstext der deutschen Ökologiebewegung Mensch und Erde” von 1913, und wir lassen uns von seinem Pathos tragen. Ist es der Mensch, der die Natur unter der christlichen und aufklärerischen Maxime der Naturbeherrschung und Nutzbarmachung vernichtet? Nein! Es ist spezifischer der westliche Kulturmensch”, der nicht bloß Flora, sondern auch Fauna bevorzugt verbrennt, ausrottet, häutet und sich dann als Schal umlegt. Fortschrittlichste Kulturen, die in aller Regel kein Interesse daran hatten, die Natur zu zerstören, sondern mit und in ihr lebten, wertet der westliche Mensch im Geiste des Christentums als zurückgeblieben ab, wodurch er sich selbst das Recht verleiht, auch jene Völker anderer Kulturen auszurotten wie die Tiere. Er wähnt sich als Gewinner, schadet dabei jedoch nur sich selbst; seine Ethik wird eine reine Nutzenethik, er hält ein falsches Menschenbild aufrecht (denn auch er steht in seiner Umwelt und ist auf sie stetig bezogen und angewiesen), wird stumpf und verliert sein ästhetisches Empfinden und Spüren. Dieser Mensch hat sich seine Weltoffenheit verspielt. Und heute muss er sich fragen, ob die Welt selbst noch offen genug ist, nämlich empfänglich wäre für die Veränderung, die der Mensch bräuchte, um nicht endgültig Opfer seiner katastrophal fehlgeleiteten Mentalität zu werden. Herzlich willkommen im Jahre 2023 mit Lachen & Schmelzen!

February 5, 2023

Folge XV: Nicht nur zur Weihnachtszeit

Planende Voraussicht und konzentrierteste Umsicht im Schmückvorgang sind die Bedingung der Möglichkeit eines glücklichen Weihnachtsfestes. © by aismallardPlanende Voraussicht und konzentrierteste Umsicht im Schmückvorgang sind die Bedingung der Möglichkeit eines glücklichen Weihnachtsfestes. © by aismallard

… oder die deutsche Weihnachtsneurose

Wenn es weihnachtet, kommt in guter deutscher Tradition auch ein Zwang nach dem anderen um die Ecke. Obsessives Verspeisen der immer gleichen Speisen, ritualisierte Abläufe, die dennoch jedes Jahr dieselbe Gefahr laufen, zu misslingen und IST DER BAUM AUSREICHEND GESCHMÜCKT?! 1952 verpackte Heinrich Böll mit psychologischem Scharfsinn und loriotscher Beobachtungsgabe alles, was zu Weihnachten in Nachkriegsdeutschland zu sagen ist mit seiner Geschichte Nicht nur zur Weihnachtszeit in ein großes kleines literarisches Geschenk, welches wir nun auspacken. Dabei wird so allerhand deutlich, nämlich dass wir womöglich immer noch in Nachkriegsdeutschland leben. Traumata und Neurosen werden nicht nur in Individuen, sondern in Familiensystemen und ganzen Kulturgemeinschaften gespeichert und weitergegeben. Das erklärt, wieso viele von uns sich neben dem Weihnachtsbaum der Großmutter als Kinder noch gefühlt haben könnten, wie Wachsfiguren. Dass es bei den Themen Krieg, Verdrängung, traumatischer Neurose oder gar Psychose nichts zu lachen gibt, ist eigentlich klar, wird aber in Bölls Satire widerlegt. Etwas anderes können wir euch zum alljährlichen WICHTIGSTEN FEST auch nicht raten: Trotzdem lachen. (Und weinen.)

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December 24, 2022

Anleitung zum rechten Gebrauch der Ironie

Es gab sie, die vorironischen Zeiten. © by Archaeo-iranEs gab sie, die vorironischen Zeiten. © by Archaeo-iran

  1. Unsere postmoderne, achselzuckende Relations- und Referenzkultur kommt aus den ironischen Inszenierungen, in die sie sich verwickelt hat, nicht heraus; wo aber praktiziert wird, stellt sich die Frage nach dem richtigen Handeln, nach einem Sollen.

  2. Ironeia, welche der hemdsärmelige Spitzbub Friedrich Schlegel erstmals als Muse der Urbanität gekürt hat, ist heute eine selbstverständliche Gepflogenheit in der Alltagskommunikation der Großstädter. Ironie ist ein Zivilisationsgut, ein spätes Reflexivwerden - kein Jäger und Sammler war ironisch. Die bittersüße Frucht der Ironie reift zu später Stunde am Baum der Erkenntnis, welcher längst in den Central Park moderner Massenkommunikation umgepflanzt wurde.

  3. Ironie vertreibt und lockert das kritische Bewusstsein von den Sachen, die in ihm so wissenschaftlich-streng geschieden sind. Solange sie nicht zu Sarkasmus und Zynismus wird, macht sie das Gespräch geschmeidig, indem sie Konfrontation abschwächt, Konfliktpotenzial dämpft, die Bedeutungen und Verständnisebenen vervielfältigt, ernsthafte Auseinandersetzung hingegen vermeidet. Sie moderiert jeden Radikalismus und kann daher als eine Tugend des Liberalismus und Pluralismus genommen werden und liefert die Maske für das Theater der Straße.

  4. Die eigene Existenz und die der Anderen in Anführungszeichen zu setzen, das Alltagsgeschehen als Theater, die Welt als Bühne aufzufassen, was S. Sontag als Camp” kultivierte, ist das federleichte Ethos der Ironie. Das Verschweben der Person darf aber nicht zur Entweltlichung führen, die ironische Demontage des Subjekts kann sich in eine monologischen Endstation verwandeln.

  5. Das durchironisierte Subjekt der Kunstwelt hat sich an der süßen Nachspeise der Ironie überfressen und kann einen ironischen von einem ernsten Satz kaum noch unterscheiden und einen ernsthaften Satz in seiner Normalität überhaupt nicht mehr ertragen.

  6. Die Ironie ist eine Intelligenz, die einen verführerischen Schein ausstrahlt. Denn sie lädt dazu ein, den bornierten Alltagsverstand für eine höhere, distinguierte, ja elitäre Sprechform auszutauschen. Weil sie aber den Menschenverstand und die Klugheit ausspielen will, ist sie dem Narrentum weitaus verwandter und kann stets dialektisch umschlagen in Nonsens, der weit unter dem gemeinen Menschenverstand anzusiedeln ist.

  7. Ironie ist gleichermaßen Ausdruck von Mangel und Fülle: Als kommunikative Offerte bewältigt sie permanente Überforderung und allgemeine Unübersichtlichkeit der Situation, indem sie aus dem Mangel an Wissen und Kompetenz ein gewusstes Nicht-Wissen formt. Sie hat kein Wissen von etwas, sondern ein Wissen von der Hinlänglichkeit aller Formen des Sprechens, Wissens und Denkens.

  8. In der ironischen Mitteilungsform kann Faulheit und Defätismus liegen: Weil man im Moment mehr sagen will, als man kann oder von einer Sache, die man nicht recht verstanden, souverän sprechen will, beflügelt man seine Botschaften, sodass sie über das Gesagte hinausschießen in die exotischen Landstriche des Unaussprechlichen und den begrenzten Sinn eines Satzes entgrenzen. Wenn man qua Ironie mehr sagen will, als man zu sagen hat, handelt es sich um rhetorisches Blendwerk, kommunikatives Doping, wenn man hingegen erkannt hat, wo Ironie ihr Vetorecht in den Situationen des menschlichen Lebens hat, dann lässt sich mit ihr ein Quantum Unaussprechlichkeit ansprechen.

  9. Ironie ist nicht das Mittel, wie es die Humanisten gern sehen würden, um die abstrakte Kunst mit dem Leben zu versöhnen. Die bleibt abstrakt und nicht auf Versöhnung oder Verständnis angelegt, auch wenn man eine sinnlich gewordene Abstraktheit wie die Ironie für und gegen sie bemüht.

  10. Mit der Ironie ist nicht fertig zu werden, umgekehrt macht sie einen fertig. Wer ironisiert und sich dabei überlegen glaubt, verkennt, dass er die Ambivalenz und Irritation nicht nur für die Anderen herstellt, sondern genauso für sich selbst. Der doppelte Grund, den die Ironie ausrollt, ist ein Ungrund, der Sprecher wie Gesprochenes verschluckt; darin liegen Rausch und Verführungskraft der Ironeia.

  11. Weltironie liegt im Lächeln der Mona Lisa. Man soll nicht von oben ironisieren, die Ironie hier und da ins Spiel bringen, sondern seine Blicke schärfen für das Spiel, das gespielt wird. Die Ironie hat zwei Abstraktionsrichtungen: sie kann aus den Lebenssituationen heraustreten, sie kann umgekehrt in sie eintreten lassen.

  12. Wenn es ein intellektuelles Sinnesorgan für die Ironie gibt, aus dem sie sich entwickeln konnte, dann ist es erkrankt. Das Totalisieren der Ironie führt in postironische Gleichgültigkeit gegenüber jeder Bedeutung und dem Sinn überhaupt. Sie nimmt lebensfeindlichen Charakter an, entwertet alle Mitteilungen und lässt ihre Apologeten im Nirwana der Indifferenz versinken. Entweder man schärft seine intellektuellen Wahrnehmungssinne für die vielfältigen Formen der Ironie - es gibt so viele Ironien wie Parfümsorten - und lernt sie zu dosieren oder eine Entzugskur der Ernsthaftigkeit tut not.

    von BWG

December 19, 2022

Folge XIV: Kitsch

Googlen Sie mal “Flamingobrunnen”, “Florian Arnold” und “Design und Strafe”. © by ZDFGooglen Sie mal “Flamingobrunnen”, “Florian Arnold” und “Design und Strafe”. © by ZDF

Phänomenologie des Kitsches vs. Camp

Wir beschäftigen uns mit Grundfragen der Ästhetik anhand des notorisch gering geschätzten Kitsches. Was ist guter Geschmack, was ist schlechter Geschmack? Wir klären diese jahrtausendealte Streitfrage ein für alle mal. Der Kitsch jedenfalls wird vom Heidelberger Philosophen Ludwig Giesz zwar auch als kulturelles Phänomen aufgefasst, vor allem aber als Phänomen im Sinne der Phänomenologie! Die ästhetischen Zustände, die er am Subjekt analysiert, stellen sich den ästhetischen Gegenständen der Vertreter einer jeden objektiven Ästhetik (z.B. Adorno) entgegen. Ein eher konservativer Einschlag lässt Giesz abseits der Methodik dennoch kitschige Kulturerzeugnisse in scharfen Gegensatz zur (wahren) Kunst setzen. Dagegen geht Susan Sontag zur beinahe gleichen Zeit auf der anderen Seite des Atlantik vor. Ihr Camp ist moralfrei und meint Kitsch, der als lebendiges, antielitäres Kulturprodukt Läuterung erfahren kann. Alles kann Kitsch sein, alles Camp - sodass wir uns am Ende vor allem fragen, was die ganze Aufregung eigentlich soll und ob wir nicht deutschen Bierernst gegen Heiterkeit eintauschen sollten, auch in Fragen der Ästhetik. Einen wahren Gegner bedeutungsvoller ästhetischer Lebensgestaltung und -erschließung gibt es dabei womöglich doch. Es ist der Lifestyle, der bloß noch ästhetische Erzeugnisse sich wünscht, die er sich leisten kann, ohne zur Frage herausgefordert zu werden: Muss ich mein Leben ändern?” Die Ästhetisierung der Lebenswelt droht dann, Deko zu werden und damit der Kunst die Bedingung ihrer Möglichkeit zu entziehen. Überdies werden meist Leben dekoriert, deren latenter Sinnmangel sinnlich kompensiert werden soll.

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December 17, 2022

Folge 25: Anlasslose Feste

Hier wird ein Fest gefeiert. “Ein hundertjähriges Jubiläum der Unabhängigkeit” von Henri Rousseau, 1892.Hier wird ein Fest gefeiert. “Ein hundertjähriges Jubiläum der Unabhängigkeit” von Henri Rousseau, 1892.

Feiern in der Spätmoderne oder die Ästhetisierung der Lebenswelt

Bald weihnachtet es und Weihnachten ist ein Fest. Was daran noch feierlich ist besprechen wir am 24.12. Vorab gilt es zu klären - Wie wird überhaupt gefeiert in nachmetaphysischen Zeiten? Religion und Politik geben nicht mehr den Ton an, also behelfen wir uns durch Ästhetisierung und probieren, das Fest zum Alltag zu machen. Dass damit ein alter Traum der Romantiker verwirklicht wird, hilft wenig, denn es funktioniert immer noch nicht. Funktioniert haben die Feste einmal, sie vergegenwärtigten das Leben in Ausnahmesituationen und stifteten höheren Sinn. Das und mehr lernen wir vom Heidelberger Philosophen Rüdiger Bubner, dessen Thesen zur Ästhetisierung der Lebenswelt” wir besprechen. Aber ist wirklich alles sinnlos geworden? Einige Rettungsversuche auch zu Gunsten der anlasslosen Feste unternehmen wir freilich. Selbst wenn nichts” mehr gefeiert wird, geschehen beim Feiern doch wichtige Dinge!

December 11, 2022

Folge XIII: Vereinzelung im Kollektiv

Mit Karl Jaspers gegen die Gesellschaft

Leistungs- und Steigerungslogik, soziale Rollen, Technisierung und technische Befriedigung unserer Bedürfnisse nach echter Gemeinschaft - alles unausweichlich, weil anthropologisch bedingt? Wir meinen dann doch: nein. In unserer Kurzfolge beschäftigen uns weiter die Grenzen der Grenzschrift. Die Diagnose heute: Gesellschaft kann schief gehen. Jedes Kollektiv, ob Gemeinschaft oder Gesellschaft, ist auf Beziehungen angewiesen. Je flacher, schneller und zweckmäßiger diese Beziehungen werden, desto mehr Mobilität hat zwar eine Gesellschaft, desto entfremdender wirkt jedoch das Kollektiv auf den Einzelnen. Denn wie laut Plessner so auch laut Karl Jaspers wird meist eines vergessen: Die Beschaffenheit der menschlichen Psyche, welche Schutz und Distanz vor dem Kollektiv braucht (Plessner), welche aber auch existenziell in ihren Bedürfnissen auf direkte, unvermittelte Versorgung durch das Kollektiv angewiesen ist (Jaspers). Es genügt also nicht, wenn der moderne, spätmoderne, liberale, neoliberale Mensch Erwachsensein und Reife definiert als sein Maß der Ungebundenheit, der sozialen Mobilität und Flexibilität. Gelten allein diese Werte, dann leiden wir unter einem Radikalismus von Gesellschaft.

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November 13, 2022