Folge 28: Tiefenökologie und Ökosophie

“Reiche Küste” - Arne Næss hätte es in Costa Rica gefallen. Das Land hat die weltweit höchste Biodiversität. © by Pigment-Ink“Reiche Küste” - Arne Næss hätte es in Costa Rica gefallen. Das Land hat die weltweit höchste Biodiversität. © by Pigment-Ink

Arne Næss’ ökophilosophische Programmatik

Lachen & Schmelzen widmet sich einem Grundlegungsversuch und -dokument der Ökobewegung. Der norwegische Philosoph Arne Naess entwarf 1972 die einflussreiche Tiefenökologie (er unterschied sie von der flachen Ökologie), mit deren Hilfe er eine ökologische Philosophie, die Ökosophie begründen wollte. Neologismen waren nicht seine Stärke. Und seine manifestartigen Thesen zum ecological fieldworker“, zum biospherical egalitarianism“ oder auch zur anti-class posture“ der Tiefenökologie wirken eklektizistisch. Dennoch formuliert er einiges, was noch heute zum festen Vokabular der Klimagerechtigkeitsbewegungen gehört. Die mangelnde Selbstständigkeit seines Ökophilosophischen Entwurfs verweist jedoch vor allem auf Konzepte, denen wir uns in Zukunft widmen werden.

On another note gestaltet sich die kapitalistische Landnahme im Meer schwierig. Das Element Wasser ist schlecht greif- und eingrenzbar. Über zwei Drittel der Erdoberfläche sind aber azzuro — die Erde steht im Grunde unter Wasser. Wie der Mensch des modernen Nationalstaats, dem Grenzen wichtig sind, damit umgeht, ist Gegenstand der Unterhaltung zweier Reisebekanntschaften auf hoher See; ein eigentümlich gegen den Wind Anschreiender und ein poetisch veranlagter Seerechtsexperte, der mit seinem wienerischen Dialekt ringt, informieren uns ganzheitlich und nachhaltig - von Atlas’ Spaerlebnissen bis zum Tieflandsockel.

May 18, 2023

Natur als Umwelt

Ein Beispiel für planvolle Weltgestaltung: Kohleabbau, wo früher der Hambacher Forst stand. © by Dinock90Ein Beispiel für planvolle Weltgestaltung: Kohleabbau, wo früher der Hambacher Forst stand. © by Dinock90

Objektivierte und subjektivierte Natur

Zu den verhängnisvollsten Missverständnissen und Vorurteilen der Neuzeit gehört das Verständnis der Natur als etwas dem Menschen Äußeres. Die als Objekt gedachte Natur, von der sich die Naturverklärung der Romantik vergeblich abzusetzen suchte, sieht den Menschen allein aufgrund seiner Fähigkeit, den Lauf der Natur zu beeinflussen, als von ihr emanzipiert an. Das ist die anthropologische Fassung desselben Missverständnisses. Als Urteil vereinseitigt es den Menschen. Denn er vereint beide Gegensätze: Er lebt als biologischer Organismus in Fundamentalabhängigkeiten gegenüber einer Vielzahl zufällig günstiger Bedingungen. Und er kann als Handelnder seine Umwelt- und Situationsgebundenheit transzendieren und planvoll Welt gestalten.

Hier tut sich die Frage nach einem dritten Weg auf, der die falsche Alternative von Objekt-Natur und Naturromantik von vorneherein umschiffen kann. Nicht umsonst versucht die Umweltbewegung seit dem ersten Bericht des Club of Rome im Gegenzug die Natur wieder als Subjekt zu etablieren. Als Umwelt ist die Natur selbst Akteurin; sie kann bedroht sein, wo der Mensch ihren Gang unterbricht, aber ebenso bedrohen, wo sie den Menschen fühlen macht, dass er selbst auch Natur ist und in einem komplexen Gewebe von Abhängigkeiten existiert. Wollte man die Natur vollends personifizieren, dann lachte sie sich als Umwelt scheckig darüber, dass der Mensch mit der Welt wie mit einem Vorgarten verfährt, den er nicht zu seinem Wohnraum zählt.

Die dritte Fassung des Missverständnisses ist also die: Die Natur als Objekt wird vom Menschen manipuliert, als stehe sie außer ihm, als sei er unabhängig von ihr, obwohl er mit ihr das manipuliert, in dem er ist und in dem er nur sein kann - als sei er keine Natur (er ist sie als Leib, wie Gernot Böhme sagt). Diesem Menschen der (europäischen) Neuzeit darf man suizidale Tendenzen unterstellen. Er sitzt in seiner Garage im Auto, die Abgase strömen durch die geöffneten Fenster in die Fahrerkabine und er beruhigt sich damit, dass der Motor ja schließlich draußen’ läuft. Im Ökosystem Erde ist es eng geworden - vermutlich kann der genetische Urmensch in uns, der den Raum der Erde nur als weite Totalität vorzustellen vermag, die doch von unserer konkreten kleinen Umgebung wohl kaum abhängig sein kann, diese Enge nur konstatieren, wo sie ihm konkret auf den Leib rückt. Solange er um sich herum genug physischen Raum (auch der wird stellenweise eng) hat, leugnet er die ökologische Enge.

Die Subjektivierung der Natur als Umwelt überzeugt jene Hartgesottenen nicht, die verhängnisvollerweise hängen geblieben sind im Mensch-Subjekt-Natur-Objekt-Schema. Sie werfen dem Bild einer agierenden Umwelt Spiritismus oder schlimmeres vor. Ihr Einwand ist triftig, wo die Umweltfreunde selbst in der Perspektive der dritten Person beschreiben wollen. Objektiv ist die Natur natürlich keine Akteurin. Wir brauchen hier die Beschreibung aus der Erste-Person-Perspektive, die uns unser Handeln als durch die Natur auf uns zurückwirkend beschreiben kann. Es ist dann nicht mehr so wichtig, ob die Rede von einem Subjekt Natur” oder Umwelt” objektiv betrachtet bloße Metaphorik ist. Denn unser Erlebnis wäre (phänomenologisch) treffender beschrieben und als Erfahrung sprachlich zugänglicher gemacht; mindestens insofern ist Natur nämlich Subjektivität, als dass wir selbst Natur sind. Dagegen versperrt der Subjekt-Objekt-Dualismus auch im Denken über die ökologische Krise uns weite Strecken des Weges zu unserer eigenen Lebenserfahrung.

Wie kommen wir aber angesichts dieser Krise ins Handeln? Nur indem wir ausgehen können von einem Welt- und Selbstbezug, der nicht länger ideenhistorisch verfärbt und verfälscht ist, sondern sucht und so akzeptiert, wie sich darbietet, was mir hier jetzt (nach Hermann Schmitz) so erscheint, dass ich es im Ernst nicht abstreiten kann. Auf die ökologische Krise selbst wirft das ein anderes Licht; sie erscheint beinahe als Nebenprodukt eines gestörten Verhältnisses zu uns selbst als Lebewesen. Ob an dieser Störung nun die Philosophen, die Zivilisation oder die Technik schuld sind und ob wir die Philosophen, die Zivilisation, die Technik oder uns’ therapieren, reformieren oder revolutionieren müssten, scheint ebenfalls nicht mehr die erste und drängendste Frage zu sein. Was zu tun ist, ergäbe sich aus dem richtigen Denken beinahe wie von selbst. Im Falle des Übergangs von der Natur” zur Umwelt” ergibt es sich womöglich schon aus dem richtigen Verständnis des Begriffs und seiner Geschichte (vor allem in der philosophischen Anthropologie Gehlens und anderer) heraus; Die Umwelt ist etwas, in dem wir nur handelnd bestehen können. Die Natur dagegen ist eine zunächst ungreifbare, aber auch unabhängige, mächtige Totalität, die sich zur Not selbst regulieren kann.

Erst zur Umwelt dagegen stehen wir als Menschen in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Was die Natur uns nicht von sich aus schenkt, müssen wir gesetzt in unsere Umwelten diesen abtrotzen. Tun wir dies in einer Weise, die kurzfristigen Erfolg anhaltender Versorgung vorzieht, handeln wir natürlich schlicht unklug, aber auch in für das menschliche Wesen typischer Weise widersprüchlich; Wir sollten uns nicht verhalten, als seien wir unabhängig von dem Gesamtzusammenhang, den wir manipulieren - und wir können uns gar nicht so verhalten, weil wir es nicht sind. Doch der Mensch ist kein logischer Satz. Er ist beides, abhängig und mächtig, weshalb sich unsere Abhängigkeit von der Umwelt mittlerweile auch umgekehrt ausdrückt: Unsere Umwelt ist etwas, das nur, wenn wir richtig handeln, bestehen kann.

von JFMS

April 11, 2023

Folge 27: Dialektik der Freizeit

In dem Maße, in dem die Haut bräuner wird, erhält man selbst Waren-(d. h. falschen)charakter. © by Robyn JayIn dem Maße, in dem die Haut bräuner wird, erhält man selbst Waren-(d. h. falschen)charakter. © by Robyn Jay

Über Langeweile, Hobby-Ideologie und Pseudo-Aktivität

Kurz vor Frühlingsbeginn und dem allgemeinen Sprießen und Erblühen auch freizeitlicher Aktivitäten streuen Bruno und Jakob Pfeffer in die Suppe, bzw. Sand ins Getriebe all jener, die Freizeit für eine gute Sache halten. Der Protestler vom Dienst und Vorstand a. D. der bundesrepublikanischen Vereinigung der Spaßbremsen (“Fun ist ein Stahlbad”), Theodor W. Adorno, reicht uns Pfeffer bzw. Sand und weist uns in Richtung des Getriebes der Kulturindustrie, welches selbst dem unkritischsten Esser die Freizeit-Suppe versalzt, in aller Regel ohne dass er es bemerkt. Freizeit ist nämlich ohne Arbeitszeit nicht zu denken, und grundsätzlich verschieden vom eigentlich erst qualitativ bestimmbaren Begriff der Freiheit. Weiterhin sind zu scheiden Muße und Langeweile, wobei letztere die Verzweiflung markiert, zu ersterer nicht mehr die nötige Ernsthaftigkeit aufbringen zu können. Sinnstiftend sind weder Hobbies (wer sich ernst nimmt, erschrickt bereits ob der Frage nach ihnen) noch blinde Aktivität - beide füllen jedoch zu große Quanten unserer Freizeit. Dabei sollten wir keine Angst haben, vor Papa Adornos Augen nur als kulturkonservative Ernsthaftigkeitsfanatiker Gnade zu finden; im Gegenteil lässt sich auch ernste Blödelei betreiben, solange sie von freier Expression lebt und durch eigene Phantasie produziert wird. Was uns an Freizeitangeboten vorgesetzt wird, sollten wir jedoch in den allermeisten Fällen als Organisation unserer Freiheit ablehnen, was wie immer leichter gesagt als getan ist. Doch es lohnt sich: Wir können die Chance wahren auf echten Genuss und wirkliche Erlebnisse abseits der Eventkultur.

March 13, 2023

Folge XVI: Fortschritt

Ein Straßenschild in der Schweiz. © by Roman DeckertEin Straßenschild in der Schweiz. © by Roman Deckert

Lineare Geschichtsphilosophie und Wachstumsideologie

Einen Fuß vor den anderen setzen, lineares Schreiten in eine Richtung - das ist selten messbar und keineswegs alternativlos. Vielmehr ist es (gemeint ist: der Fortschritt) ein neuzeitliches Phänomen und zudem eines der europäisch-westlichen Kulturen. Ob als Geschichtsphilosophie, politischer Progressivismus”, Wissenschaftsparadgima oder Wirtschaftsaxiom (Wachstum) - der Fortschritt ist kein neutraler Begriff, stets ethisch aufgeladen und das meist zu unrecht positiv. Er befördert einen fragmentarischen Blick auf die Welt und plädiert für das Waltenlassen der Eigenlogik bestimmter gesellschaftlicher Sphären, egal wie viele Probleme sie an anderer Stelle hervorrufen. Wir erläutern außerdem Alternativen zum Fortschrittsparadigma; denn gerade mit Blick auf den Menschen selbst lässt sich eine radikale Fortschrittslosigkeit beobachten. Das Gleichbleiben nicht als Abwesenheit von Veränderung oder Entwicklung, aber als Absage an eine auf alles oktroyierte Fortschrittsfähigkeit sollte uns zu denken geben. Mit weniger Fortschritten hätten wir weniger Probleme produziert. Diese Spirale zu durchbrechen erfordert kulturellen Wandel.

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February 17, 2023

Folge 26: Mensch und Erde

Eine der ersten Photographien des Planeten Erde.Eine der ersten Photographien des Planeten Erde.

Ökophilosophie mit Lachen und Schmelzen

Wir kommen aus der Winterpause und machen erstmal unseren Neuigkeiten Luft. Bruno will Luftverkäufer werden. Jakob begräbt seine passivistischen Ambitionen. Nebenbei erfinden wir den AirPod und die Kaufhäuser ganz neu. Im Podcast vollziehen wir endlich die ökologische Wende und sprechen die erste Folge Lachen & Schmelzen” ein. Das Element des Kapitalisten ist das Feuer. Betrachten wir den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt, dann entfaltet sich schnell ein Bild der Zerstörung. Ludwig Klages, umstrittener Lebensphilosoph und Neoromantiker - wenigstens in Sachen Ökologie - inspiriert uns zum Auftakt mit seinem Gründungstext der deutschen Ökologiebewegung Mensch und Erde” von 1913, und wir lassen uns von seinem Pathos tragen. Ist es der Mensch, der die Natur unter der christlichen und aufklärerischen Maxime der Naturbeherrschung und Nutzbarmachung vernichtet? Nein! Es ist spezifischer der westliche Kulturmensch”, der nicht bloß Flora, sondern auch Fauna bevorzugt verbrennt, ausrottet, häutet und sich dann als Schal umlegt. Fortschrittlichste Kulturen, die in aller Regel kein Interesse daran hatten, die Natur zu zerstören, sondern mit und in ihr lebten, wertet der westliche Mensch im Geiste des Christentums als zurückgeblieben ab, wodurch er sich selbst das Recht verleiht, auch jene Völker anderer Kulturen auszurotten wie die Tiere. Er wähnt sich als Gewinner, schadet dabei jedoch nur sich selbst; seine Ethik wird eine reine Nutzenethik, er hält ein falsches Menschenbild aufrecht (denn auch er steht in seiner Umwelt und ist auf sie stetig bezogen und angewiesen), wird stumpf und verliert sein ästhetisches Empfinden und Spüren. Dieser Mensch hat sich seine Weltoffenheit verspielt. Und heute muss er sich fragen, ob die Welt selbst noch offen genug ist, nämlich empfänglich wäre für die Veränderung, die der Mensch bräuchte, um nicht endgültig Opfer seiner katastrophal fehlgeleiteten Mentalität zu werden. Herzlich willkommen im Jahre 2023 mit Lachen & Schmelzen!

February 5, 2023

Folge XV: Nicht nur zur Weihnachtszeit

Planende Voraussicht und konzentrierteste Umsicht im Schmückvorgang sind die Bedingung der Möglichkeit eines glücklichen Weihnachtsfestes. © by aismallardPlanende Voraussicht und konzentrierteste Umsicht im Schmückvorgang sind die Bedingung der Möglichkeit eines glücklichen Weihnachtsfestes. © by aismallard

… oder die deutsche Weihnachtsneurose

Wenn es weihnachtet, kommt in guter deutscher Tradition auch ein Zwang nach dem anderen um die Ecke. Obsessives Verspeisen der immer gleichen Speisen, ritualisierte Abläufe, die dennoch jedes Jahr dieselbe Gefahr laufen, zu misslingen und IST DER BAUM AUSREICHEND GESCHMÜCKT?! 1952 verpackte Heinrich Böll mit psychologischem Scharfsinn und loriotscher Beobachtungsgabe alles, was zu Weihnachten in Nachkriegsdeutschland zu sagen ist mit seiner Geschichte Nicht nur zur Weihnachtszeit in ein großes kleines literarisches Geschenk, welches wir nun auspacken. Dabei wird so allerhand deutlich, nämlich dass wir womöglich immer noch in Nachkriegsdeutschland leben. Traumata und Neurosen werden nicht nur in Individuen, sondern in Familiensystemen und ganzen Kulturgemeinschaften gespeichert und weitergegeben. Das erklärt, wieso viele von uns sich neben dem Weihnachtsbaum der Großmutter als Kinder noch gefühlt haben könnten, wie Wachsfiguren. Dass es bei den Themen Krieg, Verdrängung, traumatischer Neurose oder gar Psychose nichts zu lachen gibt, ist eigentlich klar, wird aber in Bölls Satire widerlegt. Etwas anderes können wir euch zum alljährlichen WICHTIGSTEN FEST auch nicht raten: Trotzdem lachen. (Und weinen.)

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December 24, 2022