Natur als Umwelt

Ein Beispiel für planvolle Weltgestaltung: Kohleabbau, wo früher der Hambacher Forst stand. © by Dinock90Ein Beispiel für planvolle Weltgestaltung: Kohleabbau, wo früher der Hambacher Forst stand. © by Dinock90

Objektivierte und subjektivierte Natur

Zu den verhängnisvollsten Missverständnissen und Vorurteilen der Neuzeit gehört das Verständnis der Natur als etwas dem Menschen Äußeres. Die als Objekt gedachte Natur, von der sich die Naturverklärung der Romantik vergeblich abzusetzen suchte, sieht den Menschen allein aufgrund seiner Fähigkeit, den Lauf der Natur zu beeinflussen, als von ihr emanzipiert an. Das ist die anthropologische Fassung desselben Missverständnisses. Als Urteil vereinseitigt es den Menschen. Denn er vereint beide Gegensätze: Er lebt als biologischer Organismus in Fundamentalabhängigkeiten gegenüber einer Vielzahl zufällig günstiger Bedingungen. Und er kann als Handelnder seine Umwelt- und Situationsgebundenheit transzendieren und planvoll Welt gestalten.

Hier tut sich die Frage nach einem dritten Weg auf, der die falsche Alternative von Objekt-Natur und Naturromantik von vorneherein umschiffen kann. Nicht umsonst versucht die Umweltbewegung seit dem ersten Bericht des Club of Rome im Gegenzug die Natur wieder als Subjekt zu etablieren. Als Umwelt ist die Natur selbst Akteurin; sie kann bedroht sein, wo der Mensch ihren Gang unterbricht, aber ebenso bedrohen, wo sie den Menschen fühlen macht, dass er selbst auch Natur ist und in einem komplexen Gewebe von Abhängigkeiten existiert. Wollte man die Natur vollends personifizieren, dann lachte sie sich als Umwelt scheckig darüber, dass der Mensch mit der Welt wie mit einem Vorgarten verfährt, den er nicht zu seinem Wohnraum zählt.

Die dritte Fassung des Missverständnisses ist also die: Die Natur als Objekt wird vom Menschen manipuliert, als stehe sie außer ihm, als sei er unabhängig von ihr, obwohl er mit ihr das manipuliert, in dem er ist und in dem er nur sein kann - als sei er keine Natur (er ist sie als Leib, wie Gernot Böhme sagt). Diesem Menschen der (europäischen) Neuzeit darf man suizidale Tendenzen unterstellen. Er sitzt in seiner Garage im Auto, die Abgase strömen durch die geöffneten Fenster in die Fahrerkabine und er beruhigt sich damit, dass der Motor ja schließlich draußen’ läuft. Im Ökosystem Erde ist es eng geworden - vermutlich kann der genetische Urmensch in uns, der den Raum der Erde nur als weite Totalität vorzustellen vermag, die doch von unserer konkreten kleinen Umgebung wohl kaum abhängig sein kann, diese Enge nur konstatieren, wo sie ihm konkret auf den Leib rückt. Solange er um sich herum genug physischen Raum (auch der wird stellenweise eng) hat, leugnet er die ökologische Enge.

Die Subjektivierung der Natur als Umwelt überzeugt jene Hartgesottenen nicht, die verhängnisvollerweise hängen geblieben sind im Mensch-Subjekt-Natur-Objekt-Schema. Sie werfen dem Bild einer agierenden Umwelt Spiritismus oder schlimmeres vor. Ihr Einwand ist triftig, wo die Umweltfreunde selbst in der Perspektive der dritten Person beschreiben wollen. Objektiv ist die Natur natürlich keine Akteurin. Wir brauchen hier die Beschreibung aus der Erste-Person-Perspektive, die uns unser Handeln als durch die Natur auf uns zurückwirkend beschreiben kann. Es ist dann nicht mehr so wichtig, ob die Rede von einem Subjekt Natur” oder Umwelt” objektiv betrachtet bloße Metaphorik ist. Denn unser Erlebnis wäre (phänomenologisch) treffender beschrieben und als Erfahrung sprachlich zugänglicher gemacht; mindestens insofern ist Natur nämlich Subjektivität, als dass wir selbst Natur sind. Dagegen versperrt der Subjekt-Objekt-Dualismus auch im Denken über die ökologische Krise uns weite Strecken des Weges zu unserer eigenen Lebenserfahrung.

Wie kommen wir aber angesichts dieser Krise ins Handeln? Nur indem wir ausgehen können von einem Welt- und Selbstbezug, der nicht länger ideenhistorisch verfärbt und verfälscht ist, sondern sucht und so akzeptiert, wie sich darbietet, was mir hier jetzt (nach Hermann Schmitz) so erscheint, dass ich es im Ernst nicht abstreiten kann. Auf die ökologische Krise selbst wirft das ein anderes Licht; sie erscheint beinahe als Nebenprodukt eines gestörten Verhältnisses zu uns selbst als Lebewesen. Ob an dieser Störung nun die Philosophen, die Zivilisation oder die Technik schuld sind und ob wir die Philosophen, die Zivilisation, die Technik oder uns’ therapieren, reformieren oder revolutionieren müssten, scheint ebenfalls nicht mehr die erste und drängendste Frage zu sein. Was zu tun ist, ergäbe sich aus dem richtigen Denken beinahe wie von selbst. Im Falle des Übergangs von der Natur” zur Umwelt” ergibt es sich womöglich schon aus dem richtigen Verständnis des Begriffs und seiner Geschichte (vor allem in der philosophischen Anthropologie Gehlens und anderer) heraus; Die Umwelt ist etwas, in dem wir nur handelnd bestehen können. Die Natur dagegen ist eine zunächst ungreifbare, aber auch unabhängige, mächtige Totalität, die sich zur Not selbst regulieren kann.

Erst zur Umwelt dagegen stehen wir als Menschen in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Was die Natur uns nicht von sich aus schenkt, müssen wir gesetzt in unsere Umwelten diesen abtrotzen. Tun wir dies in einer Weise, die kurzfristigen Erfolg anhaltender Versorgung vorzieht, handeln wir natürlich schlicht unklug, aber auch in für das menschliche Wesen typischer Weise widersprüchlich; Wir sollten uns nicht verhalten, als seien wir unabhängig von dem Gesamtzusammenhang, den wir manipulieren - und wir können uns gar nicht so verhalten, weil wir es nicht sind. Doch der Mensch ist kein logischer Satz. Er ist beides, abhängig und mächtig, weshalb sich unsere Abhängigkeit von der Umwelt mittlerweile auch umgekehrt ausdrückt: Unsere Umwelt ist etwas, das nur, wenn wir richtig handeln, bestehen kann.

von JFMS


Date
April 11, 2023