Anleitung zum rechten Gebrauch der Ironie

Es gab sie, die vorironischen Zeiten. © by Archaeo-iranEs gab sie, die vorironischen Zeiten. © by Archaeo-iran

  1. Unsere postmoderne, achselzuckende Relations- und Referenzkultur kommt aus den ironischen Inszenierungen, in die sie sich verwickelt hat, nicht heraus; wo aber praktiziert wird, stellt sich die Frage nach dem richtigen Handeln, nach einem Sollen.

  2. Ironeia, welche der hemdsärmelige Spitzbub Friedrich Schlegel erstmals als Muse der Urbanität gekürt hat, ist heute eine selbstverständliche Gepflogenheit in der Alltagskommunikation der Großstädter. Ironie ist ein Zivilisationsgut, ein spätes Reflexivwerden - kein Jäger und Sammler war ironisch. Die bittersüße Frucht der Ironie reift zu später Stunde am Baum der Erkenntnis, welcher längst in den Central Park moderner Massenkommunikation umgepflanzt wurde.

  3. Ironie vertreibt und lockert das kritische Bewusstsein von den Sachen, die in ihm so wissenschaftlich-streng geschieden sind. Solange sie nicht zu Sarkasmus und Zynismus wird, macht sie das Gespräch geschmeidig, indem sie Konfrontation abschwächt, Konfliktpotenzial dämpft, die Bedeutungen und Verständnisebenen vervielfältigt, ernsthafte Auseinandersetzung hingegen vermeidet. Sie moderiert jeden Radikalismus und kann daher als eine Tugend des Liberalismus und Pluralismus genommen werden und liefert die Maske für das Theater der Straße.

  4. Die eigene Existenz und die der Anderen in Anführungszeichen zu setzen, das Alltagsgeschehen als Theater, die Welt als Bühne aufzufassen, was S. Sontag als Camp” kultivierte, ist das federleichte Ethos der Ironie. Das Verschweben der Person darf aber nicht zur Entweltlichung führen, die ironische Demontage des Subjekts kann sich in eine monologischen Endstation verwandeln.

  5. Das durchironisierte Subjekt der Kunstwelt hat sich an der süßen Nachspeise der Ironie überfressen und kann einen ironischen von einem ernsten Satz kaum noch unterscheiden und einen ernsthaften Satz in seiner Normalität überhaupt nicht mehr ertragen.

  6. Die Ironie ist eine Intelligenz, die einen verführerischen Schein ausstrahlt. Denn sie lädt dazu ein, den bornierten Alltagsverstand für eine höhere, distinguierte, ja elitäre Sprechform auszutauschen. Weil sie aber den Menschenverstand und die Klugheit ausspielen will, ist sie dem Narrentum weitaus verwandter und kann stets dialektisch umschlagen in Nonsens, der weit unter dem gemeinen Menschenverstand anzusiedeln ist.

  7. Ironie ist gleichermaßen Ausdruck von Mangel und Fülle: Als kommunikative Offerte bewältigt sie permanente Überforderung und allgemeine Unübersichtlichkeit der Situation, indem sie aus dem Mangel an Wissen und Kompetenz ein gewusstes Nicht-Wissen formt. Sie hat kein Wissen von etwas, sondern ein Wissen von der Hinlänglichkeit aller Formen des Sprechens, Wissens und Denkens.

  8. In der ironischen Mitteilungsform kann Faulheit und Defätismus liegen: Weil man im Moment mehr sagen will, als man kann oder von einer Sache, die man nicht recht verstanden, souverän sprechen will, beflügelt man seine Botschaften, sodass sie über das Gesagte hinausschießen in die exotischen Landstriche des Unaussprechlichen und den begrenzten Sinn eines Satzes entgrenzen. Wenn man qua Ironie mehr sagen will, als man zu sagen hat, handelt es sich um rhetorisches Blendwerk, kommunikatives Doping, wenn man hingegen erkannt hat, wo Ironie ihr Vetorecht in den Situationen des menschlichen Lebens hat, dann lässt sich mit ihr ein Quantum Unaussprechlichkeit ansprechen.

  9. Ironie ist nicht das Mittel, wie es die Humanisten gern sehen würden, um die abstrakte Kunst mit dem Leben zu versöhnen. Die bleibt abstrakt und nicht auf Versöhnung oder Verständnis angelegt, auch wenn man eine sinnlich gewordene Abstraktheit wie die Ironie für und gegen sie bemüht.

  10. Mit der Ironie ist nicht fertig zu werden, umgekehrt macht sie einen fertig. Wer ironisiert und sich dabei überlegen glaubt, verkennt, dass er die Ambivalenz und Irritation nicht nur für die Anderen herstellt, sondern genauso für sich selbst. Der doppelte Grund, den die Ironie ausrollt, ist ein Ungrund, der Sprecher wie Gesprochenes verschluckt; darin liegen Rausch und Verführungskraft der Ironeia.

  11. Weltironie liegt im Lächeln der Mona Lisa. Man soll nicht von oben ironisieren, die Ironie hier und da ins Spiel bringen, sondern seine Blicke schärfen für das Spiel, das gespielt wird. Die Ironie hat zwei Abstraktionsrichtungen: sie kann aus den Lebenssituationen heraustreten, sie kann umgekehrt in sie eintreten lassen.

  12. Wenn es ein intellektuelles Sinnesorgan für die Ironie gibt, aus dem sie sich entwickeln konnte, dann ist es erkrankt. Das Totalisieren der Ironie führt in postironische Gleichgültigkeit gegenüber jeder Bedeutung und dem Sinn überhaupt. Sie nimmt lebensfeindlichen Charakter an, entwertet alle Mitteilungen und lässt ihre Apologeten im Nirwana der Indifferenz versinken. Entweder man schärft seine intellektuellen Wahrnehmungssinne für die vielfältigen Formen der Ironie - es gibt so viele Ironien wie Parfümsorten - und lernt sie zu dosieren oder eine Entzugskur der Ernsthaftigkeit tut not.

    von BWG


Date
December 19, 2022